|
|
|
Die Revision ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorentscheidung entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1
FGO).
|
|
|
Das FG hat zutreffend einen Ermessensfehler des FA bei Erlass der vier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen verneint.
|
|
|
1. Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AO können die Finanzbehörden Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken.
|
|
|
Über die Art der Vollstreckungsmaßnahme entscheidet die Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO). Diese Ermessensentscheidung ist gemäß § 102
FGO gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck
der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Mit anderen Worten hat das Gericht nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht
beachtet wurden oder das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde (vgl. Senatsurteil vom 26.03.1991 - VII R 15/89, BFHE 164, 215, BStBl II 1991, 552; BFH-Urteil
vom 28.06.2000 - X R 24/95, BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514). Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass das FA seine Ermessensentscheidung
aufgrund einer einwandfreien und erschöpfenden Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts getroffen (vgl. Senatsurteil vom 30.10.1990 -
VII R 106/87, BFH/NV 1991, 509) und alle für die Ermessensausübung nach dem Zweck der Ermächtigungsnorm wesentlichen Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher
Art spätestens zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung berücksichtigt hat (vgl. BFH-Urteil vom 23.05.1985 - V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II
1985, 489). Die für die Entscheidungsfindung maßgebenden Erwägungen müssen dem Betroffenen grundsätzlich bis zur letzten Verwaltungsentscheidung in überprüfbarer Form
mitgeteilt worden sein (vgl. BFH-Urteil in BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514). Das FA kann jedoch seine Ermessenserwägungen bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines
finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO). Unzulässig ist allerdings eine erstmalige Ermessensausübung oder eine komplette Ersetzung der
Ermessenserwägungen (vgl. BFH-Beschluss vom 02.06.2004 - IV B 56/02, BFH/NV 2004, 1536).
|
|
|
Die Vollstreckungsbehörde hat bei Erlass von Vollstreckungsmaßnahmen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (vgl. u.a. Senatsurteil vom 24.09.1991 -
VII R 34/90, BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57, und Senatsbeschluss vom 11.12.1990 - VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787). Zu dessen Wahrung muss eine
Vollstreckungsmaßnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet --insbesondere nicht von vornherein aussichtslos (Senatsurteil vom 18.07.2000 -
VII R 94/98, BFH/NV 2001, 141, unter 3.)-- und erforderlich sowie dem Betroffenen zumutbar sein; außerdem darf die Maßnahme den Betroffenen nicht übermäßig
belasten (Senatsurteil vom 14.06.1988 - VII R 143/84, BFHE 153, 277, BStBl II 1988, 684). Eine solche Belastung liegt grundsätzlich schon dann nicht vor,
wenn eine Maßnahme dem Betroffenen zumutbar ist (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1982 - 1 BvL 34/80, 1 BvL 55/80, BVerfGE
61, 126, 134, unter B.I.1.b).
|
|
|
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG zutreffend einen Ermessensfehler des FA verneint.
|
|
|
a) Das FA hat nicht die Grenzen des Ermessens überschritten, die sich nach Ansicht der Klägerin aus § 20 Abs. 3 ErbStG ergeben sollen. Insbesondere ergibt sich
aus § 20 Abs. 3 ErbStG keine Beschränkung der Vollstreckung auf den Nachlass.
|
|
|
Nach § 20 Abs. 3 ErbStG haftet der Nachlass bis zur Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) für die Steuer der am Erbfall Beteiligten. Die Vorschrift enthält damit
eine Sicherungsmaßnahme zugunsten der Finanzbehörde (BFH-Urteil in BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482, Rz 18). Letztlich geht es darum, dass die Erben bis zur
vollständigen Erbauseinandersetzung eine Vollstreckung in den Nachlass wegen Ansprüchen aus dem Erbschaftsteuerschuldverhältnis eines Erben dulden müssen (Meincke,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 17. Aufl., § 20 Rz 19).
|
|
|
Allerdings enthält § 20 Abs. 3 ErbStG keine Vorgabe an die Finanzbehörde, primär in den ungeteilten Nachlass vollstrecken zu müssen. Der Vorschrift lässt sich
keine Reihenfolge der Vollstreckung und auch keine Verpflichtung des FA entnehmen, umfangreiche Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses und zum eigenen Vermögen des Erben
anzustellen. Das ergibt sich insbesondere aus dem allgemeinen Verständnis von Steuerschuldner und Haftungsschuldner und dem Grundsatz der Subsidiarität, den § 219
Satz 1 AO zum Ausdruck bringt (vgl. Senatsbeschluss vom 16.03.1995 - VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950, und Senatsurteil vom 23.09.2009 -
VII R 43/08, BFHE 226, 391, BStBl II 2010, 215, m.w.N.).
|
|
|
Nach dem auch für die Haftungsschuld gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG geltenden § 219 Satz 1 AO darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen
werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde.
Für die subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ist ausreichend, dass die Finanzbehörde zu der Annahme gelangt, dass eine Vollstreckung ohne Erfolg sein wird.
Eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolglosigkeit von Vollstreckungsversuchen braucht nicht vorzuliegen (Jatzke in Gosch, AO § 219 Rz 10).
Ebenso wenig bedarf es des Nachweises der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung, evtl. durch erfolglose Vollstreckungsversuche (Senatsbeschluss vom 24.04.2008 -
VII B 262/07, BFH/NV 2008, 1448).
|
|
|
Eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners ist grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat
(Senatsbeschluss vom 08.07.2004 - VII B 257/03, BFH/NV 2004, 1513). Bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners besteht ein (Entschließungs-)Ermessen,
eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme besteht grundsätzlich nicht (Jatzke in Gosch, AO § 191 Rz 17, mit Verweis auf die ausdrückliche Ausnahme in § 13c
Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes). Die Klägerin hat kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung darüber, ob nicht statt ihrer der
Nachlass als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 1513).
|
|
|
b) Aus der Haftungsbeschränkung nach § 2059 Abs. 1 BGB kann die Klägerin keine Beschränkung der Vollstreckung zu ihren Gunsten herleiten, weil diese Einrede auf
die Erbschaftsteuerschuld nicht anwendbar ist.
|
|
|
aa) Nach § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB kann jeder Miterbe bis zur Teilung des Nachlasses die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten aus dem Vermögen, das er
außer seinem Anteil am Nachlass hat, verweigern.
|
|
|
Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören nach § 1967 Abs. 2 BGB die vom Erblasser herrührenden Schulden und die den Erben als solchen treffenden
Verbindlichkeiten. Zu den ersteren zählen u.a. die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 45 Abs. 1 AO, § 1922 BGB) auf den Erben übergegangenen Steuer- und
Haftungsschulden des Erblassers (Erblasserschulden), während die zweite Gruppe die aus Anlass des Erbfalls entstandenen Schulden (Erbfallschulden) betrifft, zu denen
--neben den im Gesetz genannten Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen-- auch die Erbschaftsteuer (§ 9 Abs. 1, § 20 ErbStG)
zu rechnen ist (Senatsurteile vom 28.04.1992 - VII R 33/91, BFHE 168, 206, BStBl II 1992, 781, unter 3.b; vom 11.08.1998 - VII R 118/95, BFHE
186, 328, BStBl II 1998, 705, unter II.A.3.b; BFH-Urteil in BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482, Rz 11).
|
|
|
bb) § 2059 BGB gilt nicht nur für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten, sondern auch für sogenannte Erbteilverbindlichkeiten, die keine gemeinschaftlichen
Verbindlichkeiten sind, weil nur einzelne Miterben beschwert sind (MünchKommBGB/Ann, 7. Aufl., § 2058 Rz 11; Staudinger/Marotzke, BGB § 2058 Rz 32
und Rz 35). Schuldner der Erbschaftsteuer ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 ErbStG nur der jeweilige Erwerber (Gebel in
Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 20 Rz 50; Jochum in Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 20 Rz 79), weshalb es sich um
eine solche Erbteilverbindlichkeit handelt.
|
|
|
cc) Allerdings ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass diese Einrede dem Erben im Hinblick auf seine persönliche
Erbschaftsteuerschuld nicht zusteht. Nach § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB steht dem Erben die Einrede in Ansehung des seinem Erbteil entsprechenden Teils der
Verbindlichkeit nicht zu, wenn er für eine Nachlassverbindlichkeit unbeschränkt haftet. Das ist vorliegend gegeben, weil die Klägerin als Erbin allein und unbeschränkt die
Erbschaftsteuer schuldet (§ 20 Abs. 1 ErbStG).
|
|
|
c) Das FA hat schließlich nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.
|
|
|
Unter Anwendung der oben dargestellten Grundsätze waren die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen als Vollstreckungsmaßnahmen geeignet, weil die Klägerin nach den
Erkenntnissen des FA über Forderungen gegen Drittschuldner (Banken) verfügte und die Maßnahme deshalb nicht aussichtslos war. Die Maßnahmen waren auch erforderlich, um die
ausstehenden Erbschaftsteuerschulden --wenn auch nicht in vollem Umfang-- zu tilgen. Ein milderes Mittel ist nicht erkennbar. Insbesondere kann das FA nicht darauf
verwiesen werden, zuerst gegen den Nachlass als Haftungsschuldner vollstrecken zu müssen (siehe oben). Schließlich war die Vollstreckung der Klägerin zumutbar. Zwar führt
die Pfändung eines Kontoguthabens bei einem Kreditinstitut (§ 309 Abs. 3 Satz 1 AO, § 833a ZPO) faktisch zu einer Kontosperrung. Dieser besonderen
Situation hat der Gesetzgeber jedoch durch die Schaffung eines Pfändungsschutzkontos Rechnung getragen, das auf Antrag des Schuldners nach § 850k ZPO eingerichtet
werden kann (Senatsurteil vom 16.05.2017 - VII R 5/16, BFHE 258, 105, BStBl II 2018, 735, Rz 11). Im Übrigen erweisen sich die Vollstreckungsmaßnahmen
im Streitfall nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil sie nur zu einer verhältnismäßig geringen Begleichung der hohen Steuerschulden geführt haben. Bei einer
beigetriebenen Summe von insgesamt 133.510,31 EUR kann nicht von einem Bagatellbetrag ausgegangen werden, der Vollstreckungsmaßnahmen unbillig erscheinen ließe.
|
|
|
Ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Ausnahmefällen eine vorrangige Vollstreckung in den Nachlass gebietet, z.B. wenn der Steuerschuldner darlegen kann, dass eine
Vollstreckung in sein eigenes Vermögen aussichtlos wäre, musste der Senat nicht entscheiden. Denn nach ihrem eigenen Vortrag verfügte die Klägerin u.a. über Bankguthaben
mit erheblichem Bestand.
|
|